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Warum der Literaturunterricht eine Anthropologie der Sprache braucht

Sprachtheorie erscheint in didaktischen Diskussionen meist als ein Gegenstand, auf den lediglich verwiesen wird, der aber keiner weiteren Diskussion mehr bedarf. Die sprachtheoretischen Fragen sind offensichtlich immer schon geklärt, wenn Probleme des Unterrichts reflektiert werden. Dabei sind es auch hier gerade die Gewissheiten, die sich dem Denken in den Weg stellen, z. B. die Vorstellung, dass die Sprache aus Zeichen besteht und ihre Funktionsweise über deren Gebrauch erklärt werden kann. Der vorliegende Artikel weist auf die Aktualität Nietzsches  hin, der in „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ die unausweichliche Deanthropologisierung der Sprache aus dem Blickwinkel des Zeichens durchgespielt hat ,und weist die Folgen des Zeichendenkens in Musteraufgabenstellungen der Bildungsstandards nach.

Hans Lösener (2015): Der Rhythmus und die Fallen des Zeichens. Warum der Literaturunterricht eine Anthropologie der Sprache braucht. In: Interval(le)s: Réinventer le rythme / Den Rhythmus neu denken. Herausgegeben von Vera Viehöver und Bruno Dupont, H. 7, (2015), S. 1–22.

Sprachtheorie und Literaturunterricht

Es gibt wohl kaum ein Feld, das die Relevanz der Sprachtheorie für die sprachliche Praxis so unmittelbar zu Tage treten lässt wie der Deutschunterricht. Jedes Lernziel, jede methodisch-didaktische Entscheidung, jede Unterrichtsstunde und jeder Arbeitsauftrag beruhen auf meist implizit bleibenden sprachtheoretischen Prämissen, die bestimmte Denkwege, Arbeitsformen und Zielperspektiven ermöglichen oder aber ausschließen. Dass diese Prämissen innerhalb der didaktischen Reflexion kaum je einmal problematisiert werden, ist auch einer der Gründe dafür, dass an einigen Unterrichtspraktiken hartnäckig festgehalten wird, obwohl sich ihre didaktische Fragwürdigkeit längst erwiesen hat. Ein besonders anschauliches Beispiel für ein solches didaktisches Fossil ist die nach wie vor in allen Schulformen anzutreffende Form-Inhalt-Interpretation bei der Arbeit mit Gedichten. Der unten abrufbare Aufsatz ist 2009 in OBST (Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie) erschienen und analyisert die sprachtheoretischen Annahmen und die didaktischen Diskurse, auf denen diese Interpretationspraxis beruht, und zeigt, wie Alternativen zur Form-Inhalt-Analyse entwickelt werden können. Ein didaktisches Gesamtkonzept für die Arbeit mit Gedichten jenseits der Form-Inhalt-Logik findet sich in dem gemeinsam mit Ulrike Siebauer von der Universität Regensburg verfassten Praxisband „hochform@lyrik“ (2011) .

Hans Lösener, 2012

Hans Lösener (2009) Gedichtanalyse als didaktisches Problem. Gibt es eine Alternative zur Form-Inhalt-Interpretation?

Saussure und die Geschichtlichkeit der Sprache

Der folgende Aufsatz geht zurück auf einen Vortrag auf dem Germanistentag 1997 in Bonn, der unter dem Thema „Autorität der Wissenschaften von Sprache, Medien und Literatur – Autorität in den Wissenschaften“ stand. Der Text arbeitet Aspekte von Saussures Sprachtheorie heraus, die in der strukturalistischen Rezeption Saussures immer wieder ausgeblendet wurden und werden. Noch heute hat das, was man in vielen Einführungen in die Linguistik über Saussures Auffassung lesen kann, kaum etwas mit seinem Sprachdenken zu tun. In Deutschland war es Ludwig Jäger, der sich als erster für eine Annäherung an den Saussure der Manuskripte eingesetzt hat. 1975, im gleichen Jahr, in dem Jägers Dissertation erscheint, hat auch Henri Meschonnic in Le signe et le poème auf die Notwendigkeit einer differenzierten Saussure-Rezeption hingewiesen.

Hans Lösener (2000): Saussure und die Geschichtlichkeit der Sprache