Es gibt wohl kaum ein Feld, das die Relevanz der Sprachtheorie für die sprachliche Praxis so unmittelbar zu Tage treten lässt wie der Deutschunterricht. Jedes Lernziel, jede methodisch-didaktische Entscheidung, jede Unterrichtsstunde und jeder Arbeitsauftrag beruhen auf meist implizit bleibenden sprachtheoretischen Prämissen, die bestimmte Denkwege, Arbeitsformen und Zielperspektiven ermöglichen oder aber ausschließen. Dass diese Prämissen innerhalb der didaktischen Reflexion kaum je einmal problematisiert werden, ist auch einer der Gründe dafür, dass an einigen Unterrichtspraktiken hartnäckig festgehalten wird, obwohl sich ihre didaktische Fragwürdigkeit längst erwiesen hat. Ein besonders anschauliches Beispiel für ein solches didaktisches Fossil ist die nach wie vor in allen Schulformen anzutreffende Form-Inhalt-Interpretation bei der Arbeit mit Gedichten. Der unten abrufbare Aufsatz ist 2009 in OBST (Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie) erschienen und analyisert die sprachtheoretischen Annahmen und die didaktischen Diskurse, auf denen diese Interpretationspraxis beruht, und zeigt, wie Alternativen zur Form-Inhalt-Analyse entwickelt werden können. Ein didaktisches Gesamtkonzept für die Arbeit mit Gedichten jenseits der Form-Inhalt-Logik findet sich in dem gemeinsam mit Ulrike Siebauer von der Universität Regensburg verfassten Praxisband „hochform@lyrik“ (2011) .
Hans Lösener, 2012